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Rede des stellv. Vorsitzenden Dr. Gerhard Czermak

Sehr geehrter und zu ehrender Herr Deschner, liebe Mitglieder und Freunde und des BfG Augsburg, liebe Deschnerianer, sehr geehrte Damen und Herren,
ich freue mich, Sie zu dieser Feierstunde im Namen des Vorstands des Bundes für Geistesfreiheit Augsburg willkommen heißen zu können. (folgt weitere Begrüßung) Der BfG Augsburg ist heuer 90 Jahre alt geworden. Wir haben das 90-jährige Jubiläum zum Anlass genommen, den Ludwig-Feuerbach-Preis ins Leben zu rufen. Ludwig Feuerbach, dessen 200. Geburtstag wir in gut zwei Jahren feiern werden, war und ist einer der großen deutschen Philosophen und bekanntlich Begründer der modernen Religionskritik. Man kann L.F. einen Anti-Theologen nennen, und doch bezeichnet ihn etwa Karl-Heinz Weger – Prof. an der Jesuitenhochschule München und Spezialist für Fragen der Religionskritik - auch als „frommen Atheisten". Mehr Gerechtigkeit, Liebe und Güte hat sich Feuerbach von der Zukunft erhofft, und wer erhofft oder wenigstens erträumt das nicht?
Einen solchen Mann zu ehren durch Stiftung eines Preises, der seinen Namen trägt, steht einer freigeistigen Vereinigung zu. Das wird jeder einräumen müssen, der etwas vom demokratischen Prozess der freien Meinungsbildung hält. Nun verleiht die Stadt Augsburg seit einiger Zeit einen gut dotierten Friedenspreis: in christlich-ökumenischer Gesinnung, unter Mitwirkung hochrangiger kirchlicher Repräsentanten, und finanziert auch mit Steuergeldern der nicht wenigen Andersdenkenden. In einer solchen Stadt kann man derzeit nicht damit rechnen, dass ihre Repräsentanten offiziell Notiz von der Preisverleihung einer freigeistigen Vereinigung nehmen. Dabei glauben selbst im katholischen Bayern auch nach kirchlichen Untersuchungen – ungeachtet der formalen Mitgliedschaft - allenfalls noch ca. 30% der Einwohner überhaupt an einen persönlichen Gott im traditionellen Sinn, und im Bundesdurchschnitt sind es nur um die 17 %. Wäre es da nicht allmählich an der Zeit, den anderen großen Teil der Bevölkerung oder zumindest wesentliche Gruppierungen davon zur Kenntnis zu nehmen? Sollen diese Bürger sich nicht im selben Maß staatsbürgerlich und gesellschaftlich akzeptiert und integriert sehen wie die anderen? Eine paradoxe Situation.
Kritiker des BfG mögen fragen: Ist es in einer Stadt wie Augsburg mit seiner religiösen Geschichte nicht schon genug, wenn ein Preis verliehen wird, der nach einem der größten Religionskritiker benannt ist? Muss der erste Preisträger auch noch Karlheinz Deschner heißen? Sicher wird Prof. Johannes Neumann, Tübingen, in seiner Laudatio näher auf den Zusammenhang eingehen. Gestatten Sie mir dennoch, dass ich Ihnen zur Einstimmung in diesen Abend noch ein paar Gedanken zum Preisträger und den Motiven seiner Wahl vortrage.
Gewiss: Karlheinz Deschner, das ist eine Reizfigur für Viele. Sein Gegensatz speziell zum christlichen Glauben (nicht: zu den christlichen Menschen) könnte schroffer nicht sein. Ein Dokumentarfilm über ihn trägt den – freilich ironisch gemeinten – Titel „Die hasserfüllten Augen des Herrn Deschner". Und ein voluminöser Band mit ausgewählten Briefen an Deschner steht unter dem Motto: „Sie Oberteufel!" Man sollte aber auch nicht vergessen, dass die sogenannten Ungläubigen hierzulande immer noch z.T. massiv diskriminiert werden, und nicht selten auf üble Weise. Immer noch gibt es Menschen, auch mit politischem Einfluss, die all die Agnostiker und A-Theisten, wie schon die Präambel der bayerischen Verfassung, mit Bösesein assoziieren. Dabei sind das meist nur Leute, die bescheiden genug sind, zuzugeben: Wir alle wissen nicht, was die Welt im Innersten zusammenhält, und warum. Wenige, aber nicht untypische Beispiele für christliche Überheblichkeit mögen das verdeutlichen: Bei einem Gedenkgottesdienst anlässlich der Zerstörung Dresdens erklärte der Dresdener Bischof Reinelt am 13.2.1995 laut Presseberichten: „Wer Gott getötet hat, tut sich erschreckend leicht mit dem Töten von Menschen." Und ein zwischenzeitlich verstorbener prominenter katholischer Bischof erklärte ebenfalls im Gedenkjahr 1995: „Gottlosigkeit führt immer in den Abgrund." Und der Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz, Hartmut Steeb, formulierte 1996 den Satz: „Humanität ohne Divinität führt zur Bestialität." Vergleichbare dumme, wenn nicht bösartige Pauschalbehauptungen wird man bei Menschen des freigeistig-humanistischen Spektrums über Andersdenkende nicht so leicht finden. Denn wir machen die Frage der Achtung von Mitmenschen nicht von ihrer Weltanschauung abhängig, sondern von ihren Reden und Taten.
Nicht wenige werden bei dem skizzierten Umfeld eine Preisverleihung an Karlheinz Deschner als Provokation ansehen. Umgekehrt sehen Deschner und seine zahlreichen Anhänger den ganzen Verlauf der sog. christlich-abendländischen Geschichte wesentlich als Provokation an: als Verhöhnung von Geist und Gerechtigkeit. Dabei ist es heute nicht mehr so leicht, das Opus magnum Deschners, seine demnächst 7-bändige „Kriminalgeschichte des Christentums", dummdreist zu verhöhnen nach der Art, der Autor möge sich doch seine nutzlosen Kriminalstories sparen. Hat doch selbst der derzeitige konservative Papst nach 2000-jähriger Geschichte – wie unvollkommen auch immer – öffentlich Abbitte geleistet und Schuld eingestanden. Und niemand ist es bislang trotz angestrengten Bemühens gelungen, die grauenvollen Ergebnisse jahrzehntelanger und entsagungsvoller Deschner’scher Forschungen zu widerlegen.
Unübertroffen pointiert und oft treffend im wörtlichen Sinn sind zahlreiche Wahrheiten Deschners. Seine Aphorismen sind bereits Bestandteil der Literaturgeschichte. So formuliert er etwa:

"Aufklärung ist Ärgernis; wer die Welt erhellt, macht ihren Dreck deutlicher.
Ideen sind bloß Kulissen auf der Bühne der Welt; vorn stirbt man dafür, dahinter lacht man
darüber.
Auch Religion ist nur eine Frage der Geographie. Und des Datums.
Wer Skepsis hasst, hat Grund, die Wahrheit zu fürchten.
Hat eigentlich die Skepsis auf die Schlachtfelder geführt oder der Glaube?
Wer mich nicht liest, weil er um seinen Glauben bangt, ahnt offenbar, dass meine Bücher
mehr Vertrauen verdienen als sein Glaube.
Die Freiheit eines Christenmenschen beginnt mit der Zwangstaufe.
Dächte auch nur einer an Gott, ohne zu denken, Gott denke auch etwas an ihn?"

Beten heißt, den Himmel melken wollen.

"Wie der Klerus doch, was er im Mutterschoß schützt, preisgibt im Krieg; als sammelte er in
Weiberbäuchen - Kanonenfutter."

Mit solchen Florettstichen, manchmal auch Säbeln, macht sich Karlheinz Deschner viele Feinde. Aber kann man sich ihren Inhalten entziehen?
Dass aber die Religions- und Kirchenkritik nur einen Aspekt des Menschen Deschner ausmacht, sei mit den folgenden Überlegungen angedeutet. Wer Karlheinz Deschner schlicht als Hasser bezeichnet, hat entweder zu wenig von ihm gelesen, oder nichts verstanden. Denn Deschner hat hohe ethische Ansprüche. Geschichte schreibt er – im Gegensatz zur traditionellen Geschichtsschreibung - aus der Perspektive der Opfer. Im Gegensatz zu seinen Kritikern ist er total ehrlich, legt er doch die geistigen Voraussetzungen seiner Arbeit unmissverständlich dar. „Wir alle sind einseitig", sagt er zutreffend, „wer es bestreitet, lügt von vornherein". In der Einleitung seiner großen „Kriminalgeschichte des Christentums" – ein etwa 60-seitiger Text, den man heute schon als klassischen Text der Geschichtsschreibung ansehen sollte – weist er ausdrücklich darauf hin, wie jeder Historiker schreibe er nur eine partikulare unter ungezählten Geschichten, und immer wieder fordert er seine Leser eindringlich dazu auf, qualitätvolle Schriften der Gegenseite zum Vergleich zu studieren. Mit Erstaunen nimmt er zur Kenntnis, wie wenig ernst Christen Darbietungen sowjetischer Geschichte von sowjetischen Gelehrten nehmen, wie ernst aber diejenige christlicher Theologen zur christlichen Geschichte.
Nicht an einen passionierten Hasser wird der Preis verliehen, sondern an einen sehr nachdenklichen, verletzten Menschen. Denn erst die genaue Erforschung des Verlaufs der abendländischen Geschichte aus der Opferperspektive hat Deschner zu ihrem Hasser gemacht. Ein moralischer Impetus ist es, der ihn antreibt. Der unbestechliche Aufklärer sagt kritisch:
Die Herrschaft der Vernunft, wenn es sie je gäbe, machte die Welt nicht zum Paradies, aber bewahrte sie davor, die Hölle zu sein.
Den Zweifel lobt Deschner. Ich zitiere:
Alles tiefe Denken entspringt dem Zweifel und endet darin. - Von Zweifel zu Zweifel, ohne zu verzweifeln. Im Grunde bin ich ein aus lauter Zweifeln bestehender gläubiger Mensch.
Deschner weiß, wie zerstörerisch seine Christentumskritik ist. Aber das macht seine Gebirge von Tatsachen, so sehr sie auch ignoriert oder umgebogen werden, nicht unwahrer. Und kläglich sind die wenigen Versuche, Deschners Fakten madig zu machen, wissenschaftlich gescheitert. Deschner möchte eine humanere Welt nicht auf Lügen und Illusionen aufgebaut sehen.
Es ist wohl schon so, wie Christoph Türcke einmal geschrieben hat:
...Religionskritik...gehört...zu den großen Selbstverwundungen der Moderne. Man kann nicht das Dogma vom guten Schöpfer, der die Welt, auf welchen Umwegen auch immer, auf ein gutes Ende hinträgt, zum Einsturz bringen, ohne etwas in sich selbst zu zerstören: einen Halt, der das Leben unendlich viel leichter machte - wenn er hielte. Es ist eben nicht getan mit der logisch exakten Widerlegung der Glaubensgewissheiten. Sie hinterlässt all die Bedürfnisse und Fragen, auf die die Glaubenssätze die ungereimte Antwort waren.
Aber, so meine ich, das aushalten zu müssen, gehört zum Menschsein. Und es ist nicht Jedermanns Sache, sich mit total ungereimten Antworten zu begnügen. Und die Lüge ist stets noch das bewährte Instrument der Herrschsüchtigen gewesen.
Das Gesamtwerk Deschners ist, wenn ich recht sehe, Ausdruck des Bedürfnisses nach „Wahrheit" und Gerechtigkeit. Aber nicht nur das kennzeichnet den zu Ehrenden. Tief beeindruckt haben mich seine Worte:
Man hat zwar gemeint, nichts sei trauriger als der Tod der Illusion. Für mich aber war der Tod eines Hasen, eines kleinen Vogels, war der Tod eines jeden Tieres, das ich sterben sah, unendlich trauriger als der Tod aller Illusionen, die ich hatte. In: Was ich denke, 1994, S. 93
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist kein Unwürdiger, der heute den Ludwig- Feuerbach-Preis des Bundes für Geistesfreiheit Augsburg erhält. Und wer damit Schwierigkeiten hat, den bitte ich zu bedenken: Wir alle müssen es stets neu lernen, uns trotz aller gegensätzlichen Grundüberzeugungen als Mitmenschen möglichst zu respektieren, zumindest mit Anstand zu ertragen. Da gibt es keinen ehrenhaften Ausweg.
Ich danke Ihnen allen nochmals für Ihr Kommen und die mir geschenkte Aufmerksamkeit.


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