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Kurzvortrag zur Verleihung des Ludwig-Feuerbach-Preises 2008 des bfg Augsburg an Prof. Dr. Dr. Norbert Hoerster von dem 2. Vorsitzenden des bfg Augsburg, G. Rampp

Sehr geehrter Herr Professor Hoerster,

sehr geehrte Gäste,

liebe Mitglieder des Bundes für Geistesfreiheit!

Der Bund für Geistesfreiheit Augsburg verleiht zum dritten Mal den Ludwig-Feuerbach-Preis. 2001 erhielt ihn Dr. Karlheinz Deschner, 2004 Prof. Franz Buggle. Dass Prof. Hoerster zu diesen herausragenden Persönlichkeiten passt, wird Ihnen nachher der Laudator Prof. Wenz erläutern.

Manche werden sich aber die Frage stellen, warum ausgerechnet in Augsburg ein Preis nach Ludwig Feuerbach benannt wurde. Nun könnte man ganz profan antworten: Weil der Bund für Geistesfreiheit in Augsburg als erster auf diese Idee gekommen ist. Aber es geht uns auch um die grundsätzliche Frage ...

Was hat Augsburg mit Feuerbach zu tun?

Gewiss, Feuerbach war ein durch und durch bayerischer Philosoph, und er war der wichtigste, den Bayern je hervorbrachte. Heute ist er aus dem Religions- und dem Ethikunterricht der 11. Gymnasialklasse nicht mehr wegzudenken, und sogar im Deutschunterricht der 12. Jahrgangsstufe spielt er als herausragender Vertreter des sogenannten „Positiven Atheismus“ eine wichtige Rolle. Geboren ist er 1804 in Landshut und sein späteres Leben verbrachte er – von einem Studienaufenthalt in Heidelberg abgesehen – fast ausschließlich im Raum Erlangen – Nürnberg – Ansbach. Nach Augsburg kam er zu gelegentlichen Vorträgen, hier fand er durchaus auch Resonanz – interessanterweise mehr in der kirchenfernen Arbeiterschaft als im Bürgertum. Intensiver war seine Zusammenarbeit mit der damaligen Augsburger Allgemeinen Zeitung, die als überregionales kritisches Blatt geschätzt war. Für sie arbeiteten zum Beispiel Heinrich Heine und der Autor des Pfaffenspiegel, Otto von Corvin, oder auch der 1848er-Revolutionär Friedrich List (der später in den USA einer der führenden Nationalökonomen werden sollte) als Korrespondenten und freie Autoren. Auch für die Verbreitung von Feuerbachs Schriften und Ideen spielte die Augsburger Zeitung eine nicht unerhebliche Rolle, doch gab es keine regelmäßige Zusammenarbeit wie mit den oben genannten Persönlichkeiten.

Damit sind Feuerbachs unmittelbare Berührpunkte mit Augsburg schon aufgezählt. Eine organisatorische Verbindung zu Religionskritikern oder Freigeistern konnte es schon deshalb nicht geben, weil der Augsburger bfg (damals noch mit anderer Bezeichnung) erst 1911 gegründet wurde, in Fürth und Nürnberg hingegen schon 1848.

Aber war Augsburg vielleicht eine Stadt mit besonders ausgeprägter Geistesfreiheit? Dieses Bild möchte die Stadt heute gern vermitteln, und für den Tourismus würde sich dieses Image ja auch nur zu gut verkaufen. Leider ist das aber bestenfalls die halbe Wahrheit. Es gab zwar den Augsburger Religionsfrieden von 1555, dessen Jubiläum 2005 publikumswirksam gefeiert wurde. Aber als die jüdische Gemeinde gefragt wurde, ob sie sich denn nicht an den Feiern beteiligen wolle, kam die lakonische Antwort, 1555 seien die Juden schon über hundert Jahre aus der Stadt vertrieben gewesen und die Rückkehr sei ihnen erst 1805 erlaubt worden. Das sei aus Sicht der Juden kein Grund, einen „Religionsfrieden“ mitzufeiern. In der Tat, die Übereinkunft 1555 war eine interne Regelung zwischen Katholiken und Lutheranern auf Kosten von vier anderen christlichen Konfessionen. Von Juden, Muslimen oder gar Ungläubigen war damals nicht die Rede, denn die konnte man sich im Stadtgebiet nicht vorstellen – jedenfalls nicht lebend. Letzteres ist durchaus wörtlich zu verstehen, denn Gotteslästerer wurden von der Freien Reichsstadt Augsburg ebenso wie Mörder als Galeerensklaven an die Republik Venedig verkauft, wo sie zumeist sehr bald an Erschöpfung oder Krankheit starben. Diese Folgewirkung des Augsburger Religionsfriedens dauerte genau 200 Jahre lang, ehe sie Venedig – und nicht etwa Augsburg – 1756 beendete, weil die Galeeren durch kanonenbestückte Segelschiffe abgelöst wurden. Erst im 19. Jahrhundert änderte sich vieles. Die von Graf Mongelas verordnete Religionsfreiheit ließ wenigstens auf dem Papier mehr Offenheit zu, auch für Nichtglaubende. Wie dies aber in der Praxis aussah, musste 1861 ein damals 15-jähriger Augsburger Schüler verspüren, der sich weigerte, den Religionsunterricht zu besuchen. Er wurde mit einer vollen Woche Gefängnis bestraft! Kein Wunder, dass dieser Johann Most, der später als sozialistischer Redner und Schriftsteller bekannt wurde, in seinem Buch „Die Gottespest“ zu einem verbalradikalen antiklerikalen Gegenschlag ausholte, den man in seiner Polemik auch unter Freigeistern heute nicht mehr gutheißen kann. Aber an diesem Beispiel zeigt sich, dass weltanschauliche Unterdrückung meist entsprechende Gegenreaktionen hervorruft, über die langfristig keine Seite glücklich sein kann. Auch bei Bertolt Brecht, der noch in Augsburg der evangelischen Kirche den Rücken kehrte, war das in Ansätzen zu beobachten, wenn auch bei weitem nicht in dieser Schärfe. Vermutlich waren die Protestanten auch etwas kulanter.

Es gab aber auch ein positives Gegenbeispiel durch einen aus der Wahlheimat von Prof. Hoerster, nämlich aus Kitzingen kommenden Sohn eines Sattlers, der in Augsburg als typischer Selfmademan zuerst eine orthopädische Werkstatt und dann sogar eine ganze Klinik gründete. Dieser Friedrich Hessing trat früh aus der Kirche aus und bekannte sich sein ganzes Lebens lang zum Atheismus. Einer seiner Leitgedanken war der von Feuerbach geprägte Satz: „Tue Gutes um des Menschen willen.“ Als er 1918 starb, verärgerte er die Kirchen mit einer ganz ähnlichen Inschrift auf seinem Grabstein.

Wir sehen daran zweierlei: Eine religionsferne Einstellung konnte man gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Augsburg durchaus leben, aber nur solange sie als private Überzeugung nicht die „öffentliche Ordnung“ störte. Und zum zweiten wirkt sie umso überzeugender, je mehr ein säkularer Humanismus auch im Alltag glaubwürdig umgesetzt wird. Dafür war Hessing in seiner Zeit ein gutes Beispiel, und auch in unserer wird dieser Aspekt immer wichtiger.

Schon Feuerbach hatte im letzten Drittel seines Lebens erkannt, dass Religionskritik zwar unverzichtbar und für alle – auch für Theologen – befruchtend ist. Aber dann begann er die Grundzüge einer diesseitigen Ethik zu entwerfen. Sehr viel konnte er dazu aufgrund seiner materiellen Notlage nicht mehr veröffentlichen, jedoch hinterließ er zahllose Notizen und Fragmente auf handschriftlichen Blättern. Erst 1999 konnte Prof. Schuffenhauer die überfällige Aufgabe anpacken, eine Gesamtausgabe des Feuerbach-Werks herauszugeben. Beinahe wäre sogar dieses Projekt am fehlenden Geld gescheitert und ausgerechnet die beiden wichtigen letzten Bände auf der Strecke geblieben. Aber zum Glück hat hier ein privater Spender mit 15.000 Euro den Abschluss der Edition ermöglicht. Nun werden wir wohl bald mehr über Feuerbachs Gesamtkonzeption eines gelungenen, humanen, diesseitigen Lebens erfahren.

In der Gegenwart war es vielleicht die historisch wichtigste Tat des Bundes für Geistesfreiheit in Augsburg und Nürnberg, dass sich aus ihren Reihen Menschen fanden, die mit der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben für ein Umdenken beim Selbstbestimmungsrecht des Menschen in seiner letzten Lebensphase gesorgt haben. Noch heute vertritt der Vatikan die Auffassung, der Mensch habe kein Recht zur Beendigung des eigenen Lebens, selbst wenn er schwerste Schmerzen leiden müsse. Ganz versteckt war unlängst in Radio Vatikan die Feststellung zu lesen, der Mensch habe überhaupt kein Verfügungsrecht über das eigene Leben. Ähnlich äußerten sich auch führende Vertreter der evangelischen Kirche wie Herr Huber, die aber nicht mit der gleichen Verbindlichkeit für alle Protestanten sprechen können. Aber beide Kirchen wissen genau, dass sie damit die Mehrheit ihrer eigenen Mitglieder gegen sich haben. Bei anderen Streitfragen zwischen weltlicher und religiöser Ethik ist dies ähnlich, aber jeder dieser Bereiche wie Sexualität, Verhütung, Abtreibung oder Genetik muss hier gesondert analysiert werden.

Als der Toleranz verpflichtete Freigeister respektieren wir die Auffassung aller religiösen Richtungen, solange sie mit den allgemeinen Menschenrechten kompatibel sind. Jeder mag nach seiner Fasson selig werden, aber keiner darf so tun, als habe er die Wahrheit gepachtet. Daher können religiöse Begründungen niemals Maßstab für die im Staat allgemein verbindlichen ethischen Rahmenbedingungen sein, sondern immer nur solche, die über weltanschauliche Bezüge hinaus auch diesseitig und rational nachvollziehbar sind, zum Beispiel die allgemeinen Menschenrechte.

Auf die Dauer werden, zumindest in Europa, auch die Kirchen nicht um diese Einsicht herumkommen. Denn entgegen mancher bewusst manipulierten Umfrage wie kürzlich der von Bertelsmann schreitet die Säkularisierung der Gesellschaft auf unserem Kontinent weiter voran. Noch nie sind z.B. die Kirchen in Deutschland so schnell geschrumpft wie zwischen 1990 und 2005, als sie über ein Siebtel ihres Bevölkerungsanteils verloren haben (von 72,4 auf 61,8 %). Gleichzeitig entfernten sich die verbliebenen Mitglieder deutlich weiter von der Amtskirche. Auch gegenwärtig schrumpfen die Kirchen jährlich um einen halben Prozentpunkt, so dass ihr Bevölkerungsanteil voraussichtlich Ende des nächsten Jahres unter 60 und um das Jahr 2030 unter 50 Prozent der Bevölkerung fallen wird – und zwar nach den Prognosen ihrer eigenen Experten. Da wird sich die Frage nach der Schiedsrichterrolle der Kirchen in ethischen Fragen schon rein zahlenmäßig bald erledigt haben.

Für uns bleibt damit neben dem bereits erwähnten Aufbau einer säkularen Ethik nur noch eine große politische Aufgabe: die Gleichberechtigung aller Religionen und Weltanschauungen einzufordern und damit die Privilegierung der beiden größten Konfessionen abzubauen.

In Augsburg scheint dies besonders schwer, da wirkt die historische Dominanz der beiden großen Kirchen offenbar noch stark nach. Genau deshalb ist ein Feuerbachpreis in Augsburg so nötig: Nicht weil sein diesseitiges Weltbild bei den Stadtvätern besonders präsent wäre, sondern weil es hier bei der Gleichberechtigung der Weltanschauungen ein so großes Defizit gibt.



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